Hallo, hirti,
Deine Ankündigung, künftig nur noch Bilder ohne erkenntlichem Gesicht zu verbreiten, könnte man so lesen wie eine Rechtfertigung. Nun sind derart bezichtigte Rechtfertigungen oftmals aber gar nicht als Rechtfertigung gedacht, sondern einfach nur eine Erklärung.
Und aus Deiner Erklärung kann ich, wenn ich will, auch einen kleinen Hilferuf herauslesen. Hilfe, wie geht Ihr damit um? Hilfe, was denkt Ihr darüber? Hilfe, ich fühle mich bedrängt und kann nicht anders.
Ich kann bei Deinem Fall nur begrenzt mitreden, da ich nahezu niemanden habe in meinem Familienkreis, den ich dadurch beschützen könnte, nur noch unkenntlich gemachte Fotos im Internet von mir zu verbreiten; oder gar keine Fotos von mir zu verbreiten; oder gar es ganz mit dem Quatsch sein zu lassen, was anderes als Hosen tragen zu wollen/müssen.
Für mich, hirti, zeigst Du mit Deiner Erklärung vor allem eines: Verantwortung. Verantwortung für Deine Familie.
Würdest Du diese Verantwortung nicht übernehmen, dann hätte man vor 15 Jahren bestimmt noch gesagt: Du stellst Deine Selbstverwirklichung vor den Schutz Deiner Familie. Man hätte Dir Egoismus, Rücksichtslosigkeit und Verantwortungslosigkeit unterstellt.
Auch mit solchem Gedankengut bin ich immer mal wieder konfrontiert worden, was vielleicht so manche vorhanden gewesene Familienplanung meinerseits bereits weit im Voraus belastet hat. Bisweilen wurde da so verhandelt, dass es eigentlich nur die Wahl gegeben hätte, wäre es ernst geworden, den Quatsch sein lassen oder sich wegen vermuteter Verantwortungslosigkeit angreifbar machen.
Deine Entscheidung, hirti, ist eine gute. Denn damit kann Deine Familiensippe vermutlich entspannter umgehen. Das kann man sich jedenfalls so denken, dass es so ist. Damit beschützt Du nicht nur Dein Kind, damit beschützt Du auch so manche Sippenmitglieder, denen es nicht wohl dabei ist, dass Du Dich abweichend verhältst, aus dem Rahmen fällst.
Ich streue meine Bilder inzwischen auch im offenen Internet. Da ich sehe, dass ich nicht der erste und bei weitem nicht der einzige bin. Okay, es kursieren besonders viele Fotos von Designer-Klamotten diesbezüglich im Netz mit hervorragenden Fotografien, Posen und Ausstattungen. Ich möchte mit meinen Outfits, die ich praktisch täglich ohnehin im öffentlichen Raum trage, gerne das Internet noch nutzen, über meine Präsenz im Alltag hinaus mit meinen Kombinationen wirken zu können, nicht zuletzt, um zu zeigen, auch Nicht-Promis und Nicht-Modells können sich erlauben, was sie sich erlauben. Und nach eigenem Ermessen auch gut aussehen. Hierzu trage ich gerne meinen Anteil im Internet bei.
Bilder im Netz, wo ein wichtiger Teil der Persönlichkeit ausgeblendet werden, nämlich das Gesicht, können natürlich längst nicht so die Botschaft, Deine Botschaft, vermitteln, als wenn der ganzen Persönlichkeit Ausdruck verliehen wird. Es ist schön und wertvoll, wenn zu erkennen ist, dass die Person, die sich präsentiert, auch zu sich selbst stehen kann.
Und hier, lieber hirti, scheint es ja bei Dir, ähnlich wie es einige meiner Vorredner schon ausgedrückt haben, noch größere Lücken zu geben. Du stehst eben erst am Anfang, Dich in Deinem Umfeld, in Deiner Familie zu offenbaren. Du spürst ja und Du fürchtest ja Widerstände, die Dir in Deiner Sippe und in Deinem Umfeld begegnen können. Ja, das alles ist ja auch nicht ganz unschwer, sonst bräuchten wir dieses Forum vermutlich gar nicht.
Ich glaube, dass Du Dein Kind vor potentiellen Angriffen noch besser schützen kannst, wenn Du den ganzen Quatsch mit Bildern und Frauenklamotten sein lässt. Das beschert Dir den Harmoniefrieden in Deiner Sippe, das beschützt Dein Kind vor Attacken, die nur Deine Angreifbarkeit ausgenutzt hätten. Und vor allem, es würde den treu und verantwortungsvoll funktionierenden Ehemann/Vater wieder herstellen. Ganz klar, eine Top-Situation, ein allumfassender Gewinn.
Doch zu welchem Preis würde das geschehen? Das, was Du gerne nach aussen hin sichtbar trägst - verkürzt gesagt: Damenklamotten - das kommt aus Deinem Inneren heraus, was auch immer es ist, was Dich dazu treibt. Ist es gut, diese Deine Ader zu verstecken? Du wirst auch weiterhin Gelegenheiten suchen, Dich 'auszuleben', Deiner Ader genug Raum zu geben. Gleichzeitig werden diese Gelegenheiten aber auch Dich immer wieder räumlich, zeitlich, aber auch emotional von Deiner Familie wegbringen. Deine Familie zahlt letztlich auch den Preis, wenn Du immer in Heimlichkeiten fliehen musst, denn Du stehst dann nicht uneingeschränkt Deiner Familie zur Verfügung, es gehen Deine Energien, Deine Achtsamkeiten aus dem Familienleben verloren.
Drum halt ich es für wichtig, dass Du 'Deine Ader' versuchst, möglichst in die Familie mit einzubringen. Heimlichkeit tut im Kreis der eigentlich Vertrauten nicht gut. Offenheit ist der beste Schutz davor, dass Dinge aus dem Ruder laufen - für wen auch immer.
Ich glaube, Dein Kind kannst Du am besten schützen vor Hänseleien oder Mobbing, wenn Du offensiv mit dem Thema umgehst, auch wenn das Deine Frau aus vielen Bedenken heraus vielleicht ganz anders sieht. Mit Offenheit entschärfst Du die Angreifbarkeit für Dich und Deine Familie. Mit Offenheit befreist Du Dich selbst, aus Deinen Auslebens-Fluchten.
Vor 15 Jahren noch hätte man von Selbstverwirklichung bei Dir gesprochen. Selbstverwirklichung - ein positives Wort, solange eine Frau daran arbeitete. Selbstverwirklichung - ein Vorwurf, wenn ein Mann das für sich wollte. Denn man ging ja davon aus, dass Männer per se selbstverwirklicht sind.
Heute sieht die Sache schon deutlich anders aus. Inzwischen hat jeder Dorfdepp schon von 72 Geschlechtern oder so gehört, von dem 'Gender-Kram' und so. Heute ist die Gesellschaft schon viel sensibilisierter. Das Wort 'Selbstverwirklichung' ist sehr viel stärker in den Hintergrund getreten. 'Identität' ist nun ein Wort, das auch zumindest der vorletzte Dorfdepp schon kennt und aussprechen kann. Und 'Identität' (versus 'Selbstverwirklichung') drückt deutlich mehr Einfühlungsvermögen aus. Das Verständnis, seiner Identität - welche sie auch immer sei - Ausdruck zu verleihen, ist in der Gesellschaft beträchtlich gewachsen.
Insofern sind Menschen, die Deinem abweichenden Verhalten, Deinem aus dem Rahmen, aus der Rolle fallen, etwas anlasten wollen heutzutage definitiv auf einem verlorenerem Posten. Ja, Gerede wird man nicht abstellen können. Aber es wird genügend Menschen geben, die auch ein gewisses Verständnis entwickeln können - und dem Gerede eine für Dich positivere Färbung geben werden.
Mach Dir also nicht so viel Kopf drum, wer Dir was schlechtes anhaben möchte, der wird auch ohne Deine Angreifbarkeit etwas finden. Und etwaige Hänseleien Deinem Kind gegenüber wird es genügend Menschen geben, die sagen, Dein Vater ist cool; genügend Menschen, die Dein Kind unterstützen werden.
Vielleicht ist es eine gute 'Schule', wenn solche Erfahrungen Dein Kind machen darf. Hin- und hergerissen zu sein klingt erstmal anders als geborgen zu sein, ist allerdings etwas, was Deinem Kind ein Leben lang in allen Lebenslagen begegnen wird. Man kann sein Kind nicht vor allem bewahren - und tut man es, hat man auch wiederum was falsch gemacht - verbietest Du Deinem Kind, Felsen oder Bäume hochzukraxeln, dann wird es auf Dauer auch kein Selbstvertrauen aufbauen und Du wirst es ängstlich in sein Leben entlassen.
Wichtig ist, dass Du für Dein Kind da bist, ansprechbar bist, egal was ist. Und weit bevor es potentiell gehänselt oder gemobbt wird, ist es auch an Dir, Dein Kind auf Widersprüche vorzubereiten. Widersprüche jeglicher Art. Vielleicht auch auf Widersprüche, die Deine Selbstverwirklichung, sorry, Deine Verantwortungslosigkeit, sorry, Deine Identität, Dein Selbst, Dein Inneres hervorrufen können.
Was ist denn doof an Mädchensachen? Mädchensachen sind anders als Jungssachen. Aber viele Mädchen sehen oft auch fast so aus wie Jungs. Warum sollen Jungs nicht auch fast so aussehen wie Mädels? Ist es wichtiger, dass ein Junge aussieht wie ein Junge, oder dass der Junge nicht gemein zu den anderen ist? Hast Du lieber einen glücklichen Vater? Oder einen Vater, der genauso aussieht wie die anderen Väter, aber eben nicht glücklich, nicht stark, doch wieder verletzlich?
Ich habe gut reden. Ich musste da noch nicht durch.
Was ich sagen will ist dass man sich vor allem dann angreifbar macht wenn irgendetwas heimlich erscheint.
Ich glaube mit diesem Kernsatz solltest Du Dir mal ein Aufgabenfeld auf die Agenda setzen. Das schützt Deine Familie am besten. Und Dich.
Bis dahin werde ich Dein erfrischendes Lächeln vermissen. Mit diesem kannst Du fast jede üble Nachrede im Keim ersticken...!