Lieber Hajo,
also, ja, ich meine auch nicht, dass Ce sich seine Ansichten "aus den Fingern saugt". Aber er pflegt eben eine mögliche Bibelinterpretation unter mehreren möglichen, eben eine fundamentalistische oder literalistische.
Bedenke mal, wie schwierig es ist, ein Gedicht zu interpretieren, vor allem, wenn es sich um eine Übersetzung aus einer anderen Sprache handelt! Und wie schwierig die Anfertigung einer solchen Übersetzung ist! Übersetze einfach mal das Wort "Rock" ins Englische. Du wirst feststellen, dass Du es mit "skirt" oder mit "coat" übersetzen kannst. Je nach Kontext wird das eine oder das andere richtig sein. Nun findest Du in Wörterbüchern bei "skirt" oft die deutsche Übersetzung "(Damen)rock". Das ist nun allerdings keine Abgrenzung zu dem, was wir hier unter "Männerrock" verstehen, denn diesen hatten die Wörterbuchautoren wohl gar nicht im Sinn, sondern zu "Rock" im Sinne von "coat". Und hier bewegen wir uns im deutschen und englischen Sprachgebrauch des 20. Jahrhunderts. Jetzt überlege mal, wie es aussieht mir Texten, die vor 2000 Jahren auf Griechisch geschrieben wurden, und zwar im östlichen Mittelmeerraum in der hellenistischen Welt, bezugnehmend auf Predigten eines Mannes, der auf Aramäisch gepredigt hat und zwar im jüdischen Kulturraum, der auch hellenistisch beeinflusst war, und mit Übersetzungen dieser Texte ins Deutsche des 20. Jahrhunderts nach einer über tausendjährigen deutschen christlichen Geschichte, in der bis ins 16. Jh. nur lateinische Übersetzungen dieses Texte üblich waren, bis Martin Luther sie erstmals in Deutsche übersetzte, wobei seine Übersetzungen auch immer noch herangezogen werden, obwohl das Deutsch des 16. Jh. in manchem anders war als das des 20. Und wenn man jetzt noch bedenkt, dass sich unsere Sprache auch jetzt im 21. Jahrhundert weiter verändert, dann bedarf es schon großer hermeneutischer Kunst, Übersetzungen anzufertigen und zu interpretieren. Zudem kommt noch, dass sich dieser aramäisch sprechende Prediger und auch die griechisch schreibenden Autoren immer wieder auf hebräische Texte berufen, die nochmal bis zu 500 Jahre älter sind. Eindeutige Ergebnisse sind da eigentlich nicht zu erwarten.
Ich habe den Eindruck, dass Ce. und vielleicht auch Du unter "Interpretation" etwas Willkürliches verseht, ein Hineinlesen von etwas, das nicht drin steht. Nein, jede Wahrnehmung von Wirklichkeit ist Interpretation und läuft zumeist unbewusst ab. Jeder von uns hat Denk- und auch Fühlgewohnheiten, die ihm bestimmte Interpretationen nahelegen und plausibel machen. Auch unserer eigenen Plauibilitätskriterien sind wir uns meistens gar nicht bewusst. Und das alles beeinflusst, wie wir Texte lesen, und so auch unser Lesen der Bibel, des Koran usw.
Dann wie Ce. zu behaupten, wer diesen Text anders liest als er und nicht zu den eindeutigen Ergebnissen kommt, zu denen er gekommen ist, entscheide sich bewusst und absichtlich gegen Jesus und/oder Gott und/oder den Heiligen Geist und sei demzufolge ein Sünder, den Jesus nicht retten könne, halte ich für eine selbstgerechte und engstirnige Anmaßung. Sicher steht er damit nicht alleine da und er hat diese Sichtweise nicht für sich allene erfunden, sondern es gehen ihm genug Christen und Juden und Muslime und Buddhsiten und Hindus und auch Atheisten voraus, die solche so genannten Absolutheitsansprüche für ihre jeweilige Meinung vertreten, aber das macht es doch nicht besser.
Mein Anliegen ist es, dass die Menschen mit verschiedenen religiösen und weltanschaulichen Meinungen friedlich miteinander leben und voneinaner lernen sollen.
Zum 1. der 10 Gebote noch dieses: Als Moses sie den Israeten verkündet hat, befand sich sein kleiner Trupp von Israeliten auf der Wanderung in ein ihnen fremdes Land. Sie waren umgeben von anderen Völkern mit anderen Religionen. Zu dieser Zeit erachteten die Israeliten die Götter der anderen Völker als andere Götter. Sie glaubten also schon, dass es mehrere Götter gebe, aber Moses sagte ihnen, dass die anderen Götter für die anderen Völker seien, nicht für die Israeliten. Die hatten nämlich ihren eigenen Stammesgott, der sehr eifersüchtig war. Dass dieser Stammesgott dann zum Gott schlechthin und allgemein und der einzige Gott überhaupt wurde, war eine allmähliche Entwicklung. Ähnliche Entwicklungen vom Poly- zum Monotheismus lassen sich auch anderso ausmachen, so in Ägypten, wo sie aber wieder rückgängig gmacht wurde und in Indien, wo sie ein Option und mehreren blieb. In Israel wurde sie zur alleinig als gültig angesehenen Interpretation. Und das Verständnis für die polytheistischen Nachbarvölker schwand allmählich dahin. Polytheismus wurde so zur Sünde erklärt. Deshalb passt den Juden die christliche Trinitätstheologie auch nicht in den Kram. Sie ist unjüdisch und eher hellenistischem Einfluss auf die griechischsprechenden Christen zu verdanken. Dagegen wandten sich dann die Muslime, die wie die Juden einen ganz eindeutigen Monotheismus vertraten und noch heute vertreten. Aber auch da gibt es Richtungen, die ihn aufweichen, so die Alawiten und die Drusen.
Man kann aber auch den historischen Kontext der 10 Gebote außer Acht lassen und das erste Gebot völlig monotheistisch lesen. Und man kann es mystisch lesen und sagen, dass es letztlich nichts anderes als Gott gibt und so die Trennung von Schöpfer und Schöpfung aufheben oder relativieren. Die Symbolik des Davidsstern deutet eine solche mystische Interpretation an. Und man kann auch sagen, dass alle Götter aller Religionen letztlich ein Gott sind, so wie die Hindus das oft machen. So wie sich auch ein monotheistisch gedachter Gott mit verschiedenen Facetten zeigt, so wie bei den 99 Namen Gottes im Islam oder eben bei der christlichen Trinitätslehre, so kann man diesen Gedanken auch ausweiten und sagen, dass die verschiedenen Götter Erscheinungsformen des einen Gottes sind.
Und dann gibt es noch mehr Möglichkeiten, aber ich höre jetzt mal auf, damit es nicht zu lang wird.
LG,
Michael