Letztens Freitag sprach mich ein junger Mann (ca. 20-25 Jahre) in der U-Bahn an und er trug ein Buch mit der Aufschrift "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" (= Mormonen), was wahrscheinlich eine Bibelausgabe war. Er wollte wissen, ob ich gläubig bin und ich meinte, dass ich aus der Kirche ausgetreten sei. Das könne er gut nachvollziehen und er fragte, ob ich an Gott glaube. Nachdem ich dies verneinte, hakte er nochmal nach, ob ich an etwas "Höheres" glaube. Dann erzählte ich ihm, dass ich mal Religionswissenschaften studiert habe, mich mit verschiedenen Religionen intensiv auseinandergesetzt habe und für mich festgestellt habe, dass ich nicht an Gott glaube. Daraufhin fragte er mich, ob ich mich für Jesus interessiere und nähere Informationen möchte. Das lehnte ich dankend ab und er wollte wissen, ob ich jemanden in meinem Umkreis habe, der Interesse haben könnte. Nach kurzem Überlegen sagte ich ihm, dass ich das nicht glaube, weil mein Umkreis großteils nicht sehr religiös ist. Er bedankte sich für meine Ehrlichkeit und sprach den Nächsten an.
Dieser Mann, dem Akzent zur Folge aus dem anglo-amerikanischen Raum, war wahrscheinlich Student, wirkte sehr gebildet, höflich und respektvoll. Im Gegensatz zu vielen anderen Missionaren wirkte er nicht aufdringlich und ich möchte sagen, dass er mir auch irgendwie sympathisch war. Demgegenüber stand eine Begegnung zwei Wochen zuvor, ebenfalls in der U-Bahn und von zwei jungen Damen der gleichen christlichen Gruppierung. Die beiden waren bestimmt so zwischen 18 und 22 Jahre alt und wirkten jungfräulich und bieder. Diese Situation war für mich als außenstehender Beobachter ultimativ unangenehm.
Sie sprachen eine junge Mutter an, die mit ihrem Kleinkind, das im Kinderwagen lag, auf einem Sitz saß. Nach einigen Fragen zum Kind, die sie auf englisch stellten ("Wie alt ist sie?", "Welches Geschlecht?" "Geht sie in den Kindergarten?", etc.), wechselten sie plump und sehr aufdringlich auf ihre Missionierung über. Sie soll doch mal mit ihrer Tochter in die Kirche kommen, dort könne sie Gott dienen und sie würde erlöst werden. Die junge Mutter schaute daraufhin auf ihr Handy und ignorierte die beiden Damen. Sie quatschten aber unentwegt weiter von Erlösung und dass sie den Lehren Jesu folgen müsse. Nachdem die Frau nicht mehr reagierte, hielt die eine Missionarin ihr einen Flyer vor die Nase und sagte: "Wenn du Interesse hast, komm vorbei. Wir helfen dir, Gott zu lieben und deine Familie zu erlösen." Die Frau tippte weiter auf ihr Handy, dann wiederholte die Missionarin ihre Worte - wieder keine Reaktion. Die Missionarin hielt sehr lange den Flyer vor die Mutter. Ich würde mal schätzen, dass es bestimmt fast eine Minute war. Erst dann ließen sie ab und unterhielten sich untereinander weiter.