Autor Thema: Ein weiterer Schritt...  (Gelesen 2589 mal)

Offline nasenbaer

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Ein weiterer Schritt...
« am: 11.03.2023 18:38 »
Ich war gestern das erste Mal bei einem Selbsthilfetreffen für Transsexuelle, auch wenn ich selbst nicht Transsexuell bin, sondern nur wie eine Frau leben und auch Frauenkleidung tragen möchte, obwohl ich Mann bin und bleibe.

Es war insgesamt ein sehr intensives Erlebnis.

Ich habe meiner Frau erzählt, dass ich zu dem Treffen gehen möchte. Sie fragte nur: "Ich dachte das (transsexuell) bist Du nicht." Ich antwortete darauf: "Stimmt, ich bin nicht transsexuell, möchte aber trotzdem hingehen."

Ich habe mich dann rasiert, umgezogen und geschminkt, noch größere Ohrringe rein gemacht. Ich hatte ziemlich "schiss", dass meine Frau doch anfangen könnte mit mir rumzusikutieren oder sogar zu streiten.

Als ich mich dann verabschiedet habe, kam nur die Frage, ob ich nicht zu früh dran wäre. Ich meinte dann, dass ich die Adresse ja erst noch finden muss. Die Verabschiedung fiel distanzierter und kühler aus als sonst, ohne Umarmung und Abschiedskuss und kurz darauf saß ich dann tatsächlich schon im Auto, ganz ohne Streit oder unschöne Diskussionen.

Von der Organisatorin des Treffens gab's zur Begrüßung ein Kompliment: "Schick siehst Du aus!". Beim Treffen selbst gingen die Gespräche um alles Mögliche. Manche Erfahrungen mit der eigenen Familie kannte ich auch, andere dagegen, z.B. wegen des Namens bzw. der Anrede gar nicht. Es ging auch viel um Computerspiele und um Bücher schreiben, beides nicht so meine Interessen.

Die Organisatorin selbst ist Transfrau, die anderen 3 Personen Transmänner. Es war schon irgendwie eine neue Erfahrung, dass andere das haben wollen, z.B. Bart oder Körperbehaarung, von dem man selbst froh ist, dass man es nicht hat oder das man lieber los wäre.

Zum Schluss gingen wir noch ins nahe gelegene Mc Donald. Es hat schlicht und einfach niemanden interessiert, dass ich (als Mann erkennbar) Rock getragen habe. Eigentlich habe ich das schon so erwartet, aber jetzt habe ich die ganz reale Bestätigung, dass es keinen Grund gibt es (immer) wieder zu tun.

Als ich wieder heim kam, habe ich mich unaufgefordert, einfach wieder umgezogen und es war zwischen uns alles wieder wie immer. Da hätte ich insgesamt mit deutlich mehr Konfliktpotential gerechnet und bin froh, dass es keine Streitereien darum zwischen uns gab. Vielleicht können wir irgendwann auch gemeinsam so weg gehen...
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JoHa

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Antw:Ein weiterer Schritt...
« Antwort #1 am: 11.03.2023 19:03 »
Ja, dieser Bericht ist wirklich sehr ermutigend. Es ist ein alter Hut, dass sich viele Hindernisse nur im eigenen Kopf festsetzen. Ich wünsche dir von Herzen, dass deine Frau dir deinen "Traum" erfüllt.
Für uns, meine Frau und mich, ist das kein Problem gewesen. Heute vor einer Fahrt zum Familientreffen fragte sie erstaunt: "Ach heute mit Hose?"

Offline cephalus

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« Antwort #2 am: 11.03.2023 19:05 »
Hallo Nasenbaer,
es freut mich, wenn du einen schönen Abend(?) hattest.

Aber ganz ehrlich bekomme ich nicht alles zusammen.

Du willst wie eine Frau leben, bist aber nicht transsexuell, Du bist als Mann im Rock unterwegs, was ok ist, ziehst dich zuhause aber gleich wieder um. Du siehst Dich als Mann, hast aber mit den männlichen Attributen wie Bart ein Problem?

Von außen ist manches irgendwie nicht so leicht zu verstehen, was einem selbst logisch erscheint. Vielleicht magst Du erklären, was Du darunter verstehst: "nur wie eine Frau leben"

LG
Cephalus

JoHa

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Antw:Ein weiterer Schritt...
« Antwort #3 am: 11.03.2023 19:32 »
Ich glaube, manche Frau hat Angst, "ihn" zu verlieren, wenn "er" sich in die Weiblichkeit hineinsteigert und vielleicht sogar Frau werden will. Daher ist es für mich verständlich, wenn man durch Ablegen der weiblich konnotierten Attribute den Stress seiner Frau etwas abbaut.


Offline nasenbaer

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« Antwort #4 am: 11.03.2023 19:41 »
Du willst wie eine Frau leben

Für mich macht es einen Unterschied wie eine Frau zu leben oder als Frau zu leben. Ich habe in vielen Bereichen die Aufgaben der Mama bei uns gehabt, bin der, der sich gerne schminkt, Schmuck trägt oder eben auch weibliche Kleidung...mein Verhalten ähnelnt also eher dem von Frauen, als dem von Männern.

bist aber nicht transsexuell

Transsexuelle Menschen (Mann zu Frau) wollen als Frauen leben und auch so von anderen wahrgenommen werden, sie ändern meistens ihren Vornamen und ihren Geschlechtseintrag, nehmen Hormone und lassen sich operieren um ihren Körper an ihr Wunschgeschlecht anzupassen. Sie wollen dann auch ihrem Wunschgeschlecht entsprechend angesprochen werden. Das ist für mich kein Thema. Ich möchte lediglich nicht durch mein biologisches Geschlecht gezwungen sein, den entsprechenden Rollenvorstellungen und Klischees zu entsprechen, sondern auch Dinge machen können, die andere vielleicht für weiblich halten (könnten).

Du bist als Mann im Rock unterwegs, was ok ist, ziehst dich zuhause aber gleich wieder um.

Das ist die aktuelle Vereinbarung mit meiner Frau, dass sie mich nicht im Rock sehen möchte, dass ich zuhause, wenn sie nicht da ist oder wenn ich außerorts ohne sie unterwegs bin, Rock tragen kann.

Du siehst Dich als Mann, hast aber mit den männlichen Attributen wie Bart ein Problem?

Ich bin und war noch nie wirklich typisch Mann, habe aber mit meinem männlichen Körper kein Problem. In meiner Jugend habe ich sehnsüchtig auf meinen Bart gewartet, damit man sieht, dass ich erwachsen bin/werde und damit ich als Mann erkennbar bin, obwohl ich sonst mit männlichen Verhaltensweisen gleichaltriger so gar nix anfangen konnte. Heute erübrigt sich da jeder Zweifel, weil ich Vater geworden bin. Inzwischen ist mir der Bart eigentlich nur noch lästig und ich wäre nicht böse drum, wenn er weg wäre. Dauerhafte Haarentfernung ist aber teuer und mir dann letztlich zu aufwendig. So schlimm finde ich ihn dann auch wieder nicht, er wächst glücklicherweise sehr langsam. Ich habe insgesamt sehr wenig, kaum sichtbare Körperbehaarung und bin da ehrlicherweise auch ganz froh drum. Das entspricht einfach mehr meinem Schönheitsideal und was nicht da ist, muss man nicht entfernen... ;)

Begriffe wie Crossdresser oder Transvestit passen für mich wahrscheinlich am besten, ich lebe bewußt zwischen den Geschlechtern, was manche als "genderfluid" oder "nonbinär" bezeichnen, äußerlich nennen manche das "hybrid", weil ich männliche und weibliche Kleidung und Accessoires mische.
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Offline Skirtedman

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Antw:Ein weiterer Schritt...
« Antwort #5 am: 11.03.2023 20:53 »
"Hybrid" ist auch interessant. Hat noch niemand zu mir gesagt.

Hallo nasenbaer,

erstmal herzlichen Dank für Deine Story. Sie erweitert irgendwie meinen Horizont.

Und Hut ab! vor Deiner Frau, vor allem dass sie nach Deiner Unternehmung so war wie sonst gewohnt. Auch dass sie keine langen Diskussionen angefangen hat.

Mit meiner Letztverliebten wäre das anders gewesen. Gemeinsam unterwegs sein mit dem, was ich tragen will - überhaupt kein Thema. Schliesslich haben wir uns kennengelernt als ich ein etwa knielanges altrosa Kleid getragen habe. Aber Gespräche anfangen und endlos diskutieren - daran wäre ich nicht vorbeigekommen. In Deiner Situation würden wir 14 Tage diskutieren und diskutieren und sämtliche schon lange gehegten Pläne nicht realisieren vor lauter Diskutieren. Also Hut ab vor Deiner Frau!

Und unterkühlte Abschiede, wenn etwas nicht nach Wunsch der Partnerin läuft, kenne ich auch aus vorangegangenen Beziehungen. Das ist ein schweres Gerät im Arsenal der Waffen der Frauen, wie ich finde, und sehr oft an den Versuch gekoppelt, den Mann zu erziehen - in meiner Interpretation. Naja, manchmal kann man aber auch die unterkühlte Reaktion verstehen, wenn man irgendwo zwischen überrascht und schockiert ist. Aber Hut ab vor Deiner Frau! In einer anderen, früheren Beziehung hätte diese Unterkühlung bei meiner damaligen Freundin ebenso 14 Tage angehalten.

Insgesamt also Hut ab vor Deiner Frau! Allerdings schimmert mir auch so ein bisschen das durch, was JoHa ansprach: Sie will ihren Mann nicht verlieren. Klar, kann man verstehen. Vielleicht aber noch stärker. Ich halte für möglich, dass sie die Tendenz hat, Dinge eher totzuschweigen, des schönen Scheins wegen. Wenn Ihr beide damit klarkommt - kein Thema, darüber weiter nachzudenken.

Ich komme aus einer Familie, der ich viel zu verdanken habe und in der ich gerne lebte. Doch gab es auch da immer wieder Tendenzen, Dinge oder Probleme lieber totzuschweigen als sie offen anzugehen. Dem schönen Schein zuliebe - scheint gar nicht so selten zu sein.

Wenn es Beteiligte gibt, die darunter anfangen zu leiden, sollte man versuchen, etwas daran zu ändern. Was viel leichter gesagt als getan ist.

Nun zu Dir, lieber nasenbaer. Mir erschliesst sich auch nach Deinem zweiten Beitrag noch längst nicht alles wirklich schlüssig. Deine Neugier, diese Gruppe zu besuchen, kann ich ja nachvollziehen.

Den Rest, den Du schilderst, scheint mir überwiegend ein "ich möchte mich durch vorgezeichnete Rollenbilder nicht einengen lassen" - das Bestreben nach echter Gleichberechtigung in jeglicher Weise. Das bezeichnest Du als "wie eine Frau leben", wenn ich das richtig interpretiere. Auch ich habe eher weniger typische Männerinteressen, auch ich bin froh, kein pelziger Bär zu sein, auch ich mag mich nicht täglich rasieren, aber nach zwei, drei Tagen nervt das Gestrüpp im Gesicht. Ich kam noch nicht auf die Idee, dies mit "wie eine Frau leben" zu umschreiben. Sondern gepaart mit meinen Kleidungsvorlieben als "vollkommen gleichberechtigt, gleichgestellt", wie das den Frauen nun auch zugestanden wird, ohne dass jemand murrt.

Geht das bei Dir so in diese Richtung, lieber nasenbaer, oder habe ich das vollkommen falsch verstanden?

Offline nasenbaer

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« Antwort #6 am: 11.03.2023 21:13 »
Doch gab es auch da immer wieder Tendenzen, Dinge oder Probleme lieber totzuschweigen als sie offen anzugehen.

Meiner Frau fällt es nicht leicht alles auszusprechen, was sie bewegt, aber wir reden letztlich dann doch schon über alles. Wir haben auch vorher darüber geredet, dass ich zukünftig gerne auch mal Röcke tragen möchte. Meine Frau hat mir dann gesagt, dass ich keine Freudensprünge von ihr erwarten dürfe. Das ist letztlich auch der Grund für den kühlen, distanzierten Abschied. Sie hat auch gesagt, dass ich gerne etwas alleine unternehmen kann, hauptsache wäre für sie, dass ich immer wieder komme...bzw. ihr treu bleibe. Meine Frau trägt selber weder Röcke noch Kleider, weil sie das als Kind immer musste, da kann ich mir vorstellen, dass sie das als komisch empfindet, dass ich das freiwillig mache bzw. machen will. Sie hat in 32 Jahren nur ein einziges Mal ein Kleid angehabt bei der Hochzeit einer Arbeitskollegin.

Deine Neugier, diese Gruppe zu besuchen, kann ich ja nachvollziehen.

Es ging mir gar nicht um Neugier die Gruppe zu besuchen, auch wenn es mir letztlich hilft, meine Position besser bestimmen zu können, z.B. weil ich neben vielen Gemeinsamkeiten auch die ganz deutlichen Unterschiede erkenne und wahrnehme. Für mich war es einfach eine Möglichkeit unter Leute zu kommen ohne alleine losziehen zu müssen.

Den Rest, den Du schilderst, scheint mir überwiegend ein "ich möchte mich durch vorgezeichnete Rollenbilder nicht einengen lassen" - das Bestreben nach echter Gleichberechtigung in jeglicher Weise. Das bezeichnest Du als "wie eine Frau leben", wenn ich das richtig interpretiere. Auch ich habe eher weniger typische Männerinteressen, auch ich bin froh, kein pelziger Bär zu sein, auch ich mag mich nicht täglich rasieren, aber nach zwei, drei Tagen nervt das Gestrüpp im Gesicht. Ich kam noch nicht auf die Idee, dies mit "wie eine Frau leben" zu umschreiben. Sondern gepaart mit meinen Kleidungsvorlieben als "vollkommen gleichberechtigt, gleichgestellt", wie das den Frauen nun auch zugestanden wird, ohne dass jemand murrt.

Geht das bei Dir so in diese Richtung, lieber nasenbaer, oder habe ich das vollkommen falsch verstanden?

Deine Beschreibung passt schon ganz gut, "leben wie eine Frau" ist halt ein Versuch das Ganze kürzer zu beschreiben, da gehören noch viele andere Sachen/Details dazu...Männer suchen immer wieder nach Begründungen für das was sie tun oder lassen, für Frauen reicht der Grund, dass sie es gerne machen oder dass sie etwas schön finden.

Für mich persönlich ist die "männliche Geschlechterrolle" überwiegend durch Verzicht geprägt, vieles was ich schön finde und was mir gefällt, darf (ein) Mann (eigentlich) nicht... *grübel* ...viele andere Dinge, die als männlich gelten, finde ich nicht erstrebenswert, besonders bei dem, wie sich viele Männer (besonders Frauen gegenüber) verhalten oder auch dass Männer eigentlich ihre Gefühle nicht zeigen (sollen)... *grübel*

Mein ganz persönliches Thema ist der Sinn oder Unsinn der Geschlechtergrenze bzw. Geschlechtertrennung. In den allermeisten Bereichen ist das Geschlecht eigentlich egal, für das was jemand macht.

Am Ende ist es immer schwierig eine Persönlichkeit mit wenigen Worten zu beschreiben. Vieles was früher undenkbar schien hat inzwischen den Weg in meinen Alltag gefunden, manches noch nicht. Als größte Herausforderung empfinde ich es immer noch, meinen Bedürfnissen Raum zu geben ohne unsere Ehe und Familie damit zu gefährden.
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Offline hirti

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« Antwort #7 am: 12.03.2023 21:43 »
Du bist jedenfalls nicht allein, du Nasenbär!
Auch ich habe weibliche Interessen, eine Familie die mir wichtiger ist als alles andere und lebe das Thema Frauenkleider ähnlich aus wie du:
Meine Frau weiß davon, hasst es und in ihrem Beisein trage ich nichts davon.
Für mich ist das zwar  nicht die Traumsituation, aber ein Kompromiss mit dem wir beide leben können.

Ein Unterschied zwischen mir und dir ist dass ich mich im Kleid nicht mit TS treffe, sondern mit meinen Freunden.

Offline nasenbaer

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« Antwort #8 am: 12.03.2023 21:51 »
Ein Unterschied zwischen mir und dir ist dass ich mich im Kleid nicht mit TS treffe, sondern mit meinen Freunden.

Das kommt hoffentlich auch noch irgendwann... ;)

Die Gelegenheit zu dem Treffen zu gehen, wollte ich mir einfach nicht entgehen lassen, weil ich so mal in die Öffentlichkeit konnte ohne alleine losziehen zu müssen.

Für mich ist das Thema Rock (oderauch mal Kleid) tragen erst Anfang des Jahres wirklich aktuell geworden, alles drum herum habe ich schon in meinem öffentlichen Alltag integriert. Der Rock war jetzt irgendwie einfach der nächste logische Schritt. Seitdem "bekommt meine Fantasie Flügel", was vielleicht bezüglich Mode noch alles realisierbar werden könnte... :)
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